Jonas Wood, Face Painting (2014)

Im Zentrum des Bildes „face painting“ von Jonas Wood steht ein Vorlagenbuch für Kinder mit gleichnamigem Titel, auf dem fünf Kinder abgebildet sind, die ihre Gesichter zu Tieren geschminkt haben. Das Vorlagenbuch steht vor einem Spiegel auf einer Holzplatte. Darauf liegen außerdem eine Farbpalette und ein Behältnis zum Mischen von Wasserfarben.

In dem Spiegel sehen wir ein Mädchen, das sich mit einem Pinsel das Gesicht bemalt. Die Bemalung ist offenbar unfertig.  Man kann jedenfalls keine Ähnlichkeit zu einer Figur erkennen. Das Mädchen befindet sich in einem Raum mit Kassettendecke und Neonlicht, vielleicht ein Lager- oder Büro- oder Atelierraum. In der Decke sind Belüftungselemente sichtbar, an den Wänden hängen Bilder, deren Einzelheiten nicht zu bestimmen sind. Neben dem Mädchen sieht man im Spiegel einen Stapel Mützen oder Masken. Es ist nicht zu ergründen, worum genau es sich handelt. In der linken unteren Ecke des Spiegels sieht man ein von einer erwachsenen Hand gehaltenes Smartphone, mit welchem diese Szene offensichtlich aufgenommen wird.

Im Zentrum des Bildes stehen Gegenstände: Malvorlage, Spiegel, Wasserfarben und die Tischplatte. Damit handelt es sich zunächst um ein klassisches Stillleben, die zu Woods bevorzugten Motiven gehören.

Mit einfarbigen Linien und Flächen, schemenhaft zweidimensional, entwirft Wood dieses Stillleben, das trotz der einfachen Mittel erstaunlich genau und ausgearbeitet wirkt.  Geradezu typisch für den Malstil Woods ist die ausführliche Darstellung der Maserung der Holzplatte vor dem Spiegel und des Spiegels ornamentalen Rahmens. Auch die Farbwahl kann insofern als typisch gelten, als hier satte ins erdige neigende fröhliche Farbtöne eingesetzt werden.

Das Belebte – das Kind und die Hand des Künstlers – treten erst als Reflektion des Spiegels in Erscheinung. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Mädchen um die Tochter des Künstlers. Es liegt nahe, zu vermuten, dass es sich bei der Hand, die die Szene aufnimmt, um die Hand Jonas Woods handelt. Auf diese Weise enthält das Stillleben das Portrait der sich schminkenden Tochter. Die Hand verweist dabei nicht nur auf die Geschichte, wie das Motiv entstanden sein könnte, sondern definiert auch den Standpunkt des Betrachters. Klassische Portraits waren beim Malen davon geprägt, dass der Künstler seinem Modell gegenüberstand. In der klassischen Fotografie befand sich der Fotoapparat zwischen Künstler und Modell und sorgte für eine technische Distanz. Erst mit dem Smartphone ist es mühelos möglich, sich neben das Objekt zu stellen und eine Perspektive einzunehmen, die anders kaum möglich wäre. Auf diese Weise entstehen die Selfies, die zum Innbegriff der zeitgenössischen Amateurfotografie geworden sind.

Hier also steht der Künstler neben seiner Tochter und fotografiert ihr Spiegelbild. Sein Blick, während er das Foto aufgenommen hat, lässt sich aus der Haltung seiner Hand nur erahnen. Er hat wahrscheinlich Spiegel und Display des Smartphones gleichzeitig im Blick. Es gibt aber noch einen Hinweis, wo sich der Kopf des Aufnehmenden befunden haben mag. Oberhalb der Hand nämlich sieht man eine Struktur in das Bild ragen, die ich als Haare einer Maske interpretieren würde. Man sieht nur ihren Rand. Dieser gleicht jedoch in Art und Form dem Stapel rechts von dem Mädchen, bei dem es sich um Mützen oder Masken handeln könnte.

Vergegenwärtigt man sich den Prozess des Entstehens des Bildes, so sind hier zwischen Realität und Abbildung mindestens vier Reflektionsebenen eingebettet, die bildlich ausgedrückt werden.

Die erste triviale Spiegelung der Realität findet durch den Prozess des Fotografierens statt. Der Künstler schaut auf ein Display, welches einen Bildausschnitt aus einer Linse zeigt. Dieser Schritt ist technisch bedingt – zeigt aber gleichzeitig eine wesentliche Änderung unserer Seh- und Bildgewohnheiten. Denn diese haben sich in Zeiten von Smartphone und Instagram radikal verändert. Ein Foto mit dem Smartphone ist nicht nur jederzeit extrem einfach herzustellen, es ist auch praktisch kostenlos. So kann jeder Nutzer eines Smartphones eine beliebige Menge von Bildern produzieren. Dennoch ist in jedem Bild ein künstlerischer Anteil enthalten. Diese erste Ebene symbolisiert die Hand mit dem Smartphone.

Die zweite Spiegelung – ebenso trivial – findet durch den dargestellten Spiegel statt. Das spielt insofern eine Rolle, als es sich allein dadurch um ein vermitteltes Bild handelt: Die Realität wird durch diesen Gegenstand betrachtet und vermittelt. Lediglich die Umgebung des Spiegels zeigt sich so, wie der Fotograf sie unvermittelt wahrnehmen konnte. Das Symbol hierfür ist der Spiegel.

Die dritte Reflektion besteht in der Auswahl des Bildes. Wir alle kennen das: von einer Situation haben wir mit dem Smartphone viele Fotos geschossen. Welches laden wir auf Instagram hoch? Diese Auswahl nimmt der Künstler bei der Wahl seines Motivs auch vor. Und auch darin steckt ein künstlerischer Prozess, der gedanklich vorwegnimmt, wie ein Betrachter das Bild anschauen wird. Der Künstler antizipiert Gedanken und Gefühle derer, für die er das Bild schafft, sei es bewusst oder unbewusst. Welchen Teil der Realität möchte der Fotograf zeigen und warum? Symbol dieser Reflektion ist das Bild selbst in seiner physischen Existenz aus Holz, Leinwand und Farbe.

Schließlich überträgt der Künstler das ausgewählte Foto in seinem Stil des Malens auf die Leinwand. In diesem Schritt ist die künstlerische Tätigkeit offensichtlich. Denn jetzt ist das Foto eine Vorlage, nach dem ein Gemälde entsteht. Der Künstler kann, wie Gerhard Richter, einen Bereich des Fotos als Motiv auswählen, und nur diesen Bereich auf die Leinwand übertragen. Oder der Künstler kann etwas hinzufügen oder etwas herausnehmen. Jonas Wood fügt zusätzlich Störungen in das Bild ein. So sieht man im Spiegel einen Stapel Mützen oder Masken. Dort, wo der Stapel vor dem Spiegel liegen müsste, ist aber nur die Tischplatte zu sehen. Und das Behältnis zum Mischen der Wasserfarben ist in der Mitte durchsichtig.

Diese Störungen erinnern mich an den Film „Matrix“, in dem Bildstörungen ein Indiz dafür waren, dass man sich nicht in der Realität, sondern in einer von Computern simulierten virtuellen Welt befand. Diese Bildstörungen, die Abweichung von der Vorlage, symbolisieren hier die vierte Ebene der Reflektion.

Jonas Wood hat hier ein unglaublich vielschichtiges Werk geschaffen, in dem sehr viel mehr steckt, als auf den ersten Blick zu vermuten ist. Er setzt sich, wie schon viele seiner künstlerischen Vorgänger, mit der Frage auseinander, was es bedeutet, (sich) ein Bild zu machen.

Gerhard Richter hat seinen gegenständlichen bildnerischen Arbeiten den „Atlas“ an die Seite gestellt, der vermittelt, wo die einzelnen Bilder ihren Ursprung haben. Er zeigt in dieser Sammlung von Fotografien, Zeitungsausschnitten und Skizzen die Originalfotos, die ihm als Vorlagen dienten. Man kann den künstlerischen Prozess des Bildes auf diese Weise in Teilen nachvollziehen. So finden sich darin auch die Fotos (Atlas Blatt: 394), die ihn 1977 zum Bild „Betty“ (Werkverzeichnis: 425-4), einem Ölgemälde seiner Tochter inspirierten. Es ist in gewisser Weise ein ähnliches Motiv, dass 2007 auf der 13. documenta in Kassel gezeigt wurde. Die Tochter des Künstlers sieht man bei Richter liegend mit offenen Augen aus dem Bild schauend. Die Kamera, in die die Tochter geblickt haben mag, kann man sich dazu denken, sie ist jedoch nicht im Bild enthalten. Erst durch die Fotos im Atlas wird klar, dass die Kamera existierte.

Jonas Wood hat diesen „Atlas“ mit in das Bild gepackt. Wir sehen, wie das Bild entstand und können gleich dessen Transformation zum Kunstwerk miterleben. Es fällt auf, dass Woods Perspektive auf die Tochter weniger distanziert wirkt, näher dran, zufälliger, weniger gestellt als die in Richters Arbeit. Sie ist dennoch nicht weniger tief. Im Grunde zeigt das Portrait Woods Tochter bei der gleichen Tätigkeit, wie der des Künstlers selbst, nämlich dem künstlerischen Akt, aus der Vorlage ein Bild zu fertigen. Insofern kann man die Tätigkeit der Tochter als Fortführung und Spiegelung des Kunstschaffens des Vaters sehen. Während der Vater die Vorlage zu dem Gemälde fotografiert, malt die Tochter nach einer Vorlage ihr Gesicht an. Der Künstler Wood wiederholt diesen künstlerischen Akt, in dem er die Vorlage auf Leinwand überträgt. Dass Jonas Wood gerade dieses Bild für seine erste große Museumsausstellung in Dallas als Plakatmotiv ausgesucht hat, zeigt, wie wichtig es ihm ist.  Ich denke, es ist tatsächlich eines seiner stärksten Bilder. Auf jeden Fall ist es eines der stärksten Tochter-Portraits, die ich je sah.

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Jonas Wood. Ausstellungsplakat Dallas, 2019 (signiert)

Jonas Wood. Ausstellungsplakat Dallas, 2019 (unsigniert)